Strafe muss sein! – Muss Strafe sein?, Teil 1

Alles, was du durch die Folgen der inneren Natur der Sachen lehren kannst, das lehre nicht mit Worten.
Heinrich Pestalozzi

Mit Traditionen brechen

In der Erziehung sollen Strafen aufrütteln, abschrecken und verhindern, dass das Kind eine bestimmte Verhaltensweise wiederholt. Viele Eltern und Berufspädagogen halten Strafen für legitime pädagogische Mittel. Schließlich haben die Ohrfeige und der Klaps auf den Po uns auch nicht geschadet – oder doch? Wohl keine Mutter und kein Vater schlägt ihr/sein Kind gerne. Wer eine gute Alternative hätte, könnte auf verletzende und erniedrigende Erziehungsmethoden verzichten. Die gute Nachricht: Eine Erziehung ohne Schläge, Schreien und Drohen ist möglich. Lesen Sie in diesem Artikel, wie es gehen kann.

Recht auf gewaltfreie Erziehung

Seit 2000 gibt es ein Gesetz, dass Kindern ein Recht auf eine Erziehung ohne Gewalt zusichert. In § 1631 Abs. 2 BGB heißt es „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafung, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Seither hat sich einiges getan: Die Erziehung in deutschen Familien erfolgte noch nie so gewaltfrei wie heute. Immer mehr Eltern sind davon überzeugt, dass Kinder aus Strafen nichts Gutes lernen und dass sie ihnen kurz- oder langfristig schaden.

Strafen haben Nachteile

Strafen, insbesondere solche, die ein Kind körperlich oder seelisch verletzen, haben viele Nachteile. Angst vor Strafe wird das unerwünschte Verhalten nicht löschen, sondern bestenfalls unterdrücken. Das bestrafte Kind lernt, dass es sich beim nächsten Mal besser nicht erwischen lassen sollte. Es lernt nicht aus Einsicht. Strafen erzeugen Schuldgefühle auf beiden Seiten: beim Kind („Ich bin böse“) und bei den Eltern („Ich erziehe schlecht“). Häufig erleben Kinder Strafen als Lieblosigkeiten. Sie fühlen sich nicht wertgeschätzt. Manche Kinder entwickeln regelrechte Vergeltungsfantasien. Sie warten auf den Tag, an dem sie es uns heimzahlen können. Vieles spricht dafür, dass Strafen mehr schaden als nutzen.

Straffrei erziehen heißt nicht regelfrei erziehen

„Strafe muss sein“ oder „Kinder brauchen Grenzen“ sind häufige Argumente derjenigen Eltern, die sich eine Erziehung ohne Strafen (noch) nicht vorstellen können. Kindern müssen in der Tat Grenzen aufgezeigt werden. Beeinträchtigen sie mit ihrem Verhalten die Bedürfnisse anderer Menschen, darf man sie nicht gewähren lassen. Eltern, die so lange wegsehen, bis sie nicht mehr können, strafen am Ende unkontrolliert. Besser ist es, frühzeitig auf kindliche Grenzüberschreitungen zu reagieren. Die Frage ist nicht, ob Kinder Grenzen brauchen. Darüber ist man sich seit langem einig. Die Frage ist, wie Kinder zum Erkennen und Einhalten dieser Grenzen gebracht werden können.

Alternativen zu Strafen

Jede Handlung zieht Folgen nach sich: Wer sein Geld verliert, kann sich nichts kaufen. Wer unfreundlich ist, findet keine Freunde. Für Kinder ist das Erkennen dieser Zusammenhänge von großer Bedeutung. Nur so lernen sie, überlegter zu handeln und mehr Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen. Wir tun unseren Kindern keinen Gefallen, wenn wir sie stets vor den unangenehmen Folgen ihrer Taten bewahren. Und wir helfen ihnen nicht, wenn wir sie ständig ermahnen, sie ausschimpfen oder ihnen Vorwürfe machen. Man kann einem Kind nicht einreden, Verantwortung zu übernehmen. Man muss sie ihm in Form von natürlichen und logischen Konsequenzen geben.

Natürliche Konsequenzen

Natürliche Konsequenzen sind Folgen eines Verhaltens, die sich ganz von alleine einstellen: Wenn ich mich zu dünn angezogen habe, wird mir kalt. Wenn ich mir die Zähne nicht putze, bekommen sie Löcher. Wenn ich nichts esse, verspüre ich Hunger. Manche dieser Folgen können einem Kind zugemutet werden; andere nicht. Läuft ein Kind unachtsam auf die Straße, könnte eine natürliche Folge sein, dass es vom Bus erfasst wird. Das müssen Eltern verhindern. Mit Gefahren verbundene natürliche Konsequenzen ersetzt man am besten durch logische Konsequenzen: Kinder, die nicht den nötigen Sicherheitsabstand zur Straße einhalten, müssen an der Hand der Eltern laufen.

Logische Konsequenzen

Logische Konsequenzen sind Folgen kindlicher Verhaltensweisen, die die Eltern oder andere Erziehende herbeiführen. Sie haben stets eine inhaltliche und zeitliche Nähe zum Verhalten des Kindes: Trägt es nicht seinen Fahrradhelm, darf es nicht Fahrrad fahren. Weigert es sich, sein Zimmer aufzuräumen, darf es keine Freunde einladen. Kommt es trotz Aufforderung verspätet an den Mittagstisch, muss es kalte Kartoffelpuffer essen. Vorteile logischer Konsequenzen sind: Eltern können damit auf Moralpredigten verzichten, denn die Wirklichkeit spricht für sich. Doch Vorsicht: Sprüche wie „Das hast du nun davon“ oder „Siehst du“ sind kontraproduktiv, weil sie das Kind belehren, anstatt ihm Gelegenheit zu geben, die unangenehmen Folgen seines Verhaltens selbst zu erkennen. Sprechen Sie möglichst wenig und das Wenige ohne Vorwurf oder Ironie. Ruft das Kind: „Meine Puffer sind kalt“, reicht ein wohlwollendes „Die sind kalt, weil sie seit einer halben Stunde hier stehen“. Nun weiß das Kind, dass es das nächste Mal gleich zu Tisch kommen muss, wenn es heiß essen möchte.

Vorteile von Konsequenzen

Kinder verstehen Konsequenzen besser als Strafen, weil sie nicht auf seine Person bezogen sind, sondern sich aus den Erfordernissen der Wirklichkeit ableiten lassen. Weder verurteilen sie das Kind, noch werten sie es ab. Im Gegensatz zu Strafen werden Konsequenzen ruhig und freundlich benannt bzw. sprechen für sich. Das Kind soll sich durch sie nicht bestraft fühlen, sondern die auch für Kinder geltenden Sachzwänge erkennen. Der wohl größte Vorteil von logischen Konsequenzen ist, dass sie nicht nach dem Prinzip der Steigerung ablaufen. Eltern, die ihre Kinder mit Anschreien, Klapsen oder Strafandrohungen zu maßregeln versuchen, müssen mit der Zeit heftiger oder häufiger schreien, klapsen oder drohen, um die gleiche Reaktion auszulösen. Logische Konsequenzen sind gleich bleibend wirkungsvoll und achten gleichzeitig die Würde des Kindes.

Logische Konsequenzen einführen

Sie finden die Idee der logischen Konsequenzen gut? Überlegen Sie sich, welche Situationen Sie im Umgang mit Ihrem Kind als besonders belastend empfinden. Trödelt Ihr Kind morgens und sind Sie deshalb schon mehrfach zu spät im Kindergarten erschienen? Wird die Zeit am nächsten Kindergartentag wieder knapp und ist dies Ihrem Kind anzulasten, sollten Sie es im Schlafanzug zum Kindergarten fahren. Das müssen Sie ganz sicher nur einmal machen. Streiten sich Ihre Kinder während der Autofahrt? Fahren Sie beim nächsten Mal an den Straßenrand, schalten Sie den Motor aus und fahren sie erst weiter, wenn Ruhe eingekehrt ist. Lässt Ihr Teeny immer wieder seinen benutzten Teller auf dem Esstisch stehen? Servieren Sie das nächste Essen auf dem schmutzigen Teller. Sicherlich werden Ihnen viele weitere Alternativen zu Strafen einfallen, die zu Ihnen, Ihrem Kind und Ihrer Familie passen.

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