Elterliche Macht in der Erziehung: Warum es ohne besser geht, Teil 1

„Tu, was ich dir sage, oder…“

Wer hat Sätze dieser Art nicht aus seiner eigenen Kindheit in Erinnerung? Es hat uns verletzt, als unsere Eltern ihre körperliche Überlegenheit und unsere Angst davor ausnutzen, um bestimmte Dinge gegen unseren Willen durchzusetzen. Heute sind wir Eltern und wer ertappt sich nicht gelegentlich dabei, die einst abgelehnten Erziehungspraktiken selbst einzusetzen – vielleicht sogar die Sprache unserer Eltern zu sprechen?

Da Eltern und Kinder niemals wirklich gleichberechtigt sind, ist Erziehung zwangsläufig mit Macht verbunden. Eltern setzen ihre Macht ein, um ihr Kind dazu zu bewegen, etwas zu tun, was ihren Wünschen entspricht und um ihr Kind daran zu hindern, Unerwünschtes zu tun. Bereits der Begriff „Erziehung“ hat viel mit Macht und Gewalt gemeinsam. Das Kind wird von seinen Eltern nach deren Vorstellungen geformt. Es soll zu einem Denken und Handeln erzogen werden, das Erwachsene als vernünftig und sinnvoll ansehen. Die Bedürfnisse des Kindes bleiben dabei nicht selten außen vor.

Die meisten Eltern wollen ihre Kinder zu Mündigkeit, Selbstständigkeit und Autonomie erziehen. Doch wie kann das gelingen, wenn sich Erziehung hauptsächlich auf elterliche Macht stützt? Lassen sich Regeln nicht auch demokratisch aushandeln? Wie viel Freiheit brauchen Kinder, um sich gesund entwickeln zu können, was überfordert sie? Gibt es einen Mittelweg zwischen einer autoritären Erziehung, in der die Eltern die Macht haben, und einer laissez-faire-Erziehung, in der das Kind die Macht hat?

Zuckerbrot und Peitsche

Eltern setzen in aller Regel Belohnungen und Bestrafungen in der Erziehung ein. Sie belohnen ihr Kind für erwünschtes Verhalten und bestrafen es für Fehlverhalten. Die Macht der Eltern ist dabei um so stärker, je mehr das Kind von den Belohnungen abhängig ist und je mehr es Bestrafungen seitens der Eltern fürchtet. Je älter das Kind aber wird, desto mehr verlieren Belohnungen und Bestrafungen ihre Wirkung. Heranwachsende können Bestrafungen besser umgehen und sich Belohnungen selbst verschaffen. Dies ist die Zeit in der Eltern den Eindruck gewinnen, dass sie ihre Autorität verlieren, dass ihre Kinder ihnen „auf der Nase herumtanzen“.

Eine Erziehung, die auf Strafen weitgehend verzichtet, weder autoritär noch laissez-faire ist, sondern auf gegenseitigen Respekt setzt, kann ein Weg zu mehr Zufriedenheit für die ganze Familie sein.

Wie man zuhört, damit Kinder sprechen

Der amerikanische Psychologe Thomas Gordon hat in den 60er Jahren ein auf Machtfreiheit und Demokratie setzendes Erziehungskonzept vorgelegt. Es beruht auf Kommunikationstechniken aus der Gesprächstherapie, die auch von Eltern erlernt und eingesetzt werden können. Ausgehend von seiner Beobachtung, dass viele Eltern ihren Kindern Probleme abnehmen, anstatt ihnen zu helfen, selbst Lösungen zu finden und daran zu wachsen, hat Gordon die Methoden des passiven und aktiven Zuhörens auf die Kommunikation zwischen Eltern und Kind übertragen.

Eltern, die passiv zuhören, schweigen, wenn das Kind von einem Problem erzählt. Sie kommentieren die Mitteilungen des Kindes nicht. Das aufmerksame Zuhören kann von einem gelegentlichen „Hmhm“, „Soso“ oder „Aha“ begleitet sein. Diese Äußerungen signalisieren dem Kind: „Ich bin ganz Ohr. Mich interessiert, was du erzählst“. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind seinen Kummer offenbart. Stärkere Aufforderungen zum Sprechen sind Erwiderungen wie „Erzähl mir darüber“ oder „Ich möchte etwas darüber hören“.

Ein Erwachsener, der aktives Zuhören praktiziert, bewertet ebenfalls nicht. Er gibt nur das wider, was er verstanden hat. Damit signalisiert er dem Kind Akzeptanz: „Deine Empfindungen sind in Ordnung. Ich vertraue dir, dass du eine Lösung für dein Problem findest“. Ein Beispiel:

Kind: „Ich will nicht mehr zur Schule gehen. Schule ist doof!“
Erwachsener: „Du bist der Schule überdrüssig.“
Kind: „Ja. Da kommt richtig Wut hoch, wenn ich an die Schule denke.
Erwachsener: Du hasst die Schule regelrecht.
Kind: „Ja, vor allem die Lehrer.“
Erwachsener: „Du hasst alle Lehrer an deiner Schule.“
Kind: „Na, ja, nicht alle. Frau Müller ist ganz in Ordnung, aber mit Herrn Maier komme ich gar nicht klar. Ich kann tun, was ich will. Immer gibt er mir im Mündlichen eine Vier. Dabei melde ich mich ganz oft.
Erwachsener: „Du fühlst dich ungerecht behandelt.“
Kind: „Genau. Weißt du, morgen nach der Stunde sage ich ihm das einfach. Mal sehen, was er dazu sagt.“

Ein Erwachsener, der auf Äußerungen eines Kindes mit Kritik, Verständnislosigkeit, Moralpredigten, Belehrungen oder Schimpfen reagiert, bringt es zum Schweigen. Das Kind behält das Problem für sich. Fühlt es sich hingegen angenommen, kann es mit höherer Wahrscheinlichkeit eine eigene Lösung finden.

Wie man sprechen muss, damit Kinder zuhören

Wenn Eltern Macht zur Durchsetzung ihrer Interessen anwenden, stellen sie ihre Bedürfnisse über die Bedürfnisse des Kindes. Die Gedanken und Gefühle des Kindes zählen nicht. Das Kind spürt das und zieht sich zurück: physisch, indem es sich hauptsächlich in seinem Zimmer aufhält oder selten zu Hause ist und psychisch, indem es „auf Durchzug stellt“. Die Eltern können ihr Kind immer schwerer erreichen. „Mein Kind hört nicht“ ist eine häufige Klage von Müttern und Vätern, die Erziehungsberatung in Anspruch nehmen. Meist ist gemeint, dass das Kind ungehorsam ist. Manchmal haben Eltern aber auch das Gefühl, das Kind höre nicht zu. Wie kommt es dazu? Die Empfindungen von Kindern gleichen denen von Erwachsenen: Wir alle sind eher geneigt, einem Menschen zuzuhören, wenn dieser Mensch uns bis zu Ende anhört. Eltern, deren Kinder nicht (zu)hören, sollten sich daher selbstkritisch fragen: Höre ich meinem Kind zu? Sind mir sein Bedürfnisse wirklich wichtig? Zeige ich das auch?

Wenn das Kind mit Straßenschuhen über den frisch gesaugten Teppich stapft, sollten sich Eltern Schimpfen oder gar Beleidigungen („Du Trampel!“) verkneifen. Wichtig ist, dass Eltern ihre Empfindungen mitteilen: „Ich habe mir so viel Mühe gegeben, und jetzt ist alles wieder schmutzig. Das ärgert mich.“ Du-Botschaften rufen Trotz hervor; Ich-Botschaften teilen dem Kind mit, welche Reaktionen sein Verhalten hervorruft. Der Erwachsene lässt das Kind wissen: „Du bist in Ordnung, aber dein Verhalten bereitet mir unangenehme Gefühle.“ So wird das Kind viel eher bereit sein, eine Lösung für das Problem zu finden.

Aushandeln von Regeln in Familienkonferenzen

Respekt hat, wer die Bedürfnisse anderer Menschen achtet und sein Verhalten danach ausrichtet. Wer einen anderen Menschen respektvoll behandelt, wird von diesem Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch respektvoll behandelt. Respekt lässt sich nicht einfordern, auch nicht von Kindern. Mütter und Väter, die diesen Wert vermitteln wollen, müssen ihren Kindern das Recht auf eigene Bedürfnisse und eine eigene Meinung zugestehen. Regeln sollten daher nicht angeordnet, sondern demokratisch ausgehandelt werden. Dies kann in regelmäßig stattfindenden Familienzusammenkünften erfolgen. Dort können Probleme von allen Familienmitgliedern angesprochen werden. Gemeinsam wird eine Lösung gesucht, mit der alle zufrieden sind. Dieses gleichberechtigte Treffen von Abmachungen hat eine erwünschte Nebenwirkung: Die Regeln haben für alle eine größere Bedeutung und werden eher befolgt. Das Kind lernt: „Meine Eltern achten mich und meine Bedürfnisse, also achte ich sie und ihre Bedürfnisse“.

Lesen Sie in Teil 2:

  • Warum Strafen keine Lösung sind
  • Regeln und Grenzen setzen – vom Babyalter bis zur Pubertät
Scroll to Top