ADHS und Kommunikation – Wie eine veränderte Sprache AD(H)S-Symptome lindert

Die ganze Kunst der Sprache besteht darin, verstanden zu werden.
Konfuzius

Kinder ohne Ohren?

Unaufmerksame, impulsive und hyperaktive Kinder fallen vor allem durch nicht erwartungskonformes Verhalten auf. Immer wieder machen sie das Gegenteil von dem, was Erwachsene ihnen aufgetragen haben. So kommt es, dass Eltern, Lehrer und Erzieherinnen häufig beklagen, dass diese Kinder keine Ohren zu haben scheinen. „Philipp hört einfach nicht!“ heißt es dann. Nicht immer ist erkennbar, ob das Kind nicht hören will oder ob es uns tatsächlich nicht gehört hat. Beide Probleme können durch eine angepasste Sprache vermieden werden. Lesen Sie in diesem Artikel, wie Kinder (und Erwachsene) mit ADHS über Sprache besser erreicht werden können, was die Kooperationsbereitschaft fördert und das durch alltägliche Missverständnisse beeinträchtigte Selbstwertgefühl stärkt.

Wer hat das Problem?

Es ist eine weit verbreitete menschliche Eigenschaft, den für dumm, schwerhörig oder unwillig zu halten, der unseren Worten nicht die erwarteten Taten folgen lässt. Aussagen wie „Bist du denn blöd?“, „Hast du was an den Ohren?“ oder „Du willst mich wohl ärgern!“ machen deutlich, dass das Problem nur allzu oft ausschließlich bei dem gesehen wird, der nicht tut, was er tun soll. Insbesondere im Umgang mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ADHS ist Umdenken erforderlich. Wer ein Aufmerksamkeitsdefizit hat, nimmt anders wahr. Man ist nicht immer und nicht lange aufnahmebereit und obendrein überaus vergesslich. Das beeinträchtigt das Selbstbild: Kritik wird persönlicher genommen; Wutausbrüche sind wahrscheinlicher. Wer mit ADHS-Betroffenen kommuniziert, muss sich dieser Besonderheiten bewusst sein und seine Art zu kommunizieren anpassen.

Eine Reihe von Kommunikationsstrategien haben sich bei unaufmerksamen, impulsiven und hyperaktiven Kindern bewährt. Entscheiden Sie selbst, welche der folgenden Strategien auf Gesprächssituationen mit Erwachsenen übertragbar sind.

Hyperfokus respektieren

ADHS-Betroffene neigen dazu, mit offenen Augen scheinbar zu schlafen. In solchen Momenten kann ein Kind wie erstarrt wirken. Es ist mit seinen Gedanken oder einer fesselnden Aufgabe derart intensiv beschäftigt, dass es sich nach Außen komplett verschließt. In diesem hochkonzentrierten Zustand („Hyperfokus“) sind auch Menschen mit ADHS zu Tätigkeiten in der Lage, die gerichtete Aufmerksamkeit und Ausdauer erfordern. Wenn Ihr Kind hyperfokussiert, sollten Sie es nach Möglichkeit nicht stören. Rütteln Sie nicht an ihm, schlagen Sie nicht die Hände vor seinem Gesicht zusammen und necken Sie es nicht im Nachhinein. Warten Sie einfach einen günstigeren Moment ab.

Wut abwarten

Im Wutanfall ist ein hyperaktives Kind über die Ohren so gut wie nicht erreichbar. Gutes Zureden nützt in diesen hochemotionalen Situationen nichts. Im Gegenteil: Der eigene Ärger kann die Situation zusätzlich anheizen. Um eine Eskalation zu vermeiden, müssen Sie sich zurücknehmen. Werden Sie leiser, vermeiden Sie Blickkontakt, stellen Sie keine provozierenden Fragen („Sag mal, spinnst du?“), wechseln Sie nach Möglichkeit das Thema oder verlassen Sie den Schauplatz. Hyperaktive Kinder legen erst richtig los, wenn sie ein Publikum haben. Auch um sich vor Überreaktionen zu schützen, sollten sich Eltern und andere Erziehende vom Kind entfernen, wenn das eigene Erregungsniveau oder das des Kindes hoch ist. Nach etwa 20 Minuten ist der Kopf wieder klar und man kann sich wieder unterhalten. Wärmen Sie den alten Streit jedoch nicht gleich wieder auf, sondern gehen Sie zur Tagesordnung über. Sicherlich findet sich später eine günstigere Gelegenheit, den Streit Revue passieren zu lassen und sich gemeinsam zu überlegen, wie Auseinandersetzungen dieser Art künftig vermieden werden können.

Prinzip „Anfassen – Anschauen – Ansprechen“

Wer ein Kind dazu bringen möchte, etwas zu tun oder zu unterlassen, sollte diese Aufforderung nicht aus der Entfernung rufen, sondern einen unmittelbaren Kontakt herstellen. Andernfalls müssen Sie damit rechnen, dass das Kind Ihre Worte nicht hört oder sie für unbedeutend hält. Gehen Sie zum Kind und berühren Sie es mit leichtem Druck an der Schulter. Dieser kurze taktile Reiz versetzt das Nervensystem in eine besondere Aufmerksamkeitsbereitschaft. Das Kind wird dadurch wacher. Gehen Sie nun auf Augenhöhe des Kindes, suchen Sie Blickkontakt und nennen Sie das Kind beim Namen. Formulieren Sie Ihre Aufforderung, sobald der Blickkontakt hergestellt ist. Bleiben Sie solange neben dem Kind stehen, bis es getan hat, was es tun soll. Nehmen Sie es an die Hand, wenn es Ihnen folgen soll. Körperliche Nähe erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Kind tut, was Sie von ihm erwarten.

Kurze, genaue Aufforderungen

Im Moment des Blickkontakts können Sie ziemlich sicher sein, dass die Antennen Ihres Gegenübers voll ausgefahren sind. Da aber Kinder mit ADHS anderen Menschen höchstens fünf Sekunden in die Augen schauen, müssen Aufforderungen kurz und genau sein. Vergleichen Sie „In deinen Zimmer hat wohl eine Bombe eingeschlagen. Geh sofort rüber und räum auf. Wasch dir vorher aber noch die Hände. Die sehen so klebrig aus. Ist das Schokolade? Und vergiss nicht wieder, das Licht im Bad auszuschalten!“ mit „Geh in dein Zimmer und leg alle Dinosaurier in die Dinokiste!“. In der ersten Situation ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Kind etwas vergisst und seine Mutter verärgert. Sagen Sie dem Kind möglichst genau, was es tun soll und geben Sie ihm erst die zweite Aufgabe, wenn die erste erledigt ist.

Bestimmt auftreten

Unterscheiden Sie klar zwischen Bitten, Fragen und Aufforderungen. Bitten („Würdest du dir jetzt bitte die Zähne putzen?“) und Fragen („Willst du nicht langsam deine Zähne putzen?“) lassen dem Kind die Wahl. Es kann kooperieren oder sich dazu entscheiden, uns diesen Gefallen nicht zu tun. In diesem Fall hätten wir keinen Grund zur Verärgerung. Eine Aufforderung bekommt Aufforderungscharakter, wenn sie im Imperativ (Befehlsform) formuliert ist („Putz dir die Zähne!“) und unsere Stimmlage, Mimik und Gestik keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass wir uns unserer Sache sehr sicher sind. Beginnt das Kind zu diskutieren, wird die Aufforderung in einem freundlichen, aber festen Ton wiederholt, notfalls mehrere Male. Diese „Technik der kaputten Schallplatte“ soll dem Kind verdeutlichen, dass die Angelegenheit nicht verhandelbar ist.

Wahlmöglichkeiten schaffen

Hyperaktiv-impulsive Kinder haben eine niedrige Frustrationstoleranz. Misserfolge oder sich bereits ankündigende Nachteile können Wutanfälle von großer Intensität auslösen. Verzichten Sie daher auf Drohungen („Stell die Musik noch lauter und du wirst was erleben!“). Geben Sie dem Kind stattdessen Wahlmöglichkeiten wann immer möglich („Setz die Kopfhörer auf oder mach die Musik aus!“). Drohungen können als Einladung zum Machtkampf missverstanden werden. Sie fordern das Kind heraus und setzen die Eltern unter Zugzwang. Wahlmöglichkeiten hingegen zeigen dem Kind Handlungsalternativen auf. So kann es die Bedürfnisse seiner Mitmenschen besser erkennen und lernen, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Bieten Sie Ihrem Kind in Konfliktsituationen zwei Verhaltensoptionen an und lassen Sie es selbst entscheiden, wie es sich verhalten möchte („Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder du hörst auf, andere Kinder anzuspucken oder wir gehen nach Hause“). Lassen Sie die angekündigte Konsequenz folgen, wenn Ihr Kind sein Fehlverhalten fortsetzt.

Positives in Aussicht stellen

Auch das Aufzeigen positiver Konsequenzen fördert die Kooperationsbereitschaft. Vergleichen Sie „Wenn du nicht bald mit den Hausaufgaben fertig bist, darfst du heute kein Fußball spielen“ mit „Sobald du die letzten beiden Aufgaben gelöst hast, geht Papa mit dir zum Training“. Die erste Aussage wird Protest hervorrufen; die zweite motiviert. Überlegen Sie, womit Sie Ihr Kind anspornen können. Das kann auch eine Art Wettbewerb sein: „Wer als Erster seine Jacke anhat, hat gewonnen!“ oder „Wenn du es schaffst, heute nicht aus dem Unterricht zu fliegen, darfst du abends ein halbe Stunde länger an die Spielkonsole“. Das Locken mit positiven Folgen ist viel besser als das Androhen von Strafen. Es lässt ein Kind die wohltuende Erfahrung machen, dass sich Wohlverhalten lohnt. Vertrauen Sie darauf, dass Ihnen im richtigen Moment eine sinnvolle positive Konsequenz einfallen wird.

Ich-Botschaften statt Du-Botschaften

Kinder mit ADHS werden fortwährend zurechtgewiesen, kritisiert und bestraft. Zu oft erfahren sie: So wie ich bin, bin ich nicht in Ordnung. Anschuldigungen, die sich direkt auf das Kind beziehen („Du bist ein Lügner!“) haben unerwünschte Nebenwirkungen: Hört ein Kind sie mehrere Male und von verschiedenen Personen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich sein Fehlverhalten verfestigt. Psychologen nennen das eine „sich selbst erfüllende Prophezeiung“. Besser ist es, Kritik ausschließlich auf das Verhalten des Kindes zu beziehen und dabei eigene Emotionen mitzuteilen („Ich bin enttäuscht, wenn du mir nicht die Wahrheit sagst. Ich möchte dir glauben können. Sag mir, wie es wirklich war!“). Das hilft dem Kind, die Gefühle seiner Mitmenschen wahrzunehmen, sein Verhalten zu überdenken und sich zu ändern.

Bewusst loben

Alle Kinder wollen ihren Eltern Freude machen. Mitunter wissen sie aber nicht, was genau von ihnen erwartet wird. Zeigen Sie es dem Kind mit einem Lob, sobald Sie von dem lobenswerten Verhalten erfahren. Achten Sie darauf, dass es versteht, wofür es gelobt wird („Schön, dass du deine Mütze wieder gefunden hast!“). Dosieren Sie Lob gut und wählen Sie unterschiedliche Formulierungen. Fällt Ihr Lob immer gleich aus, egal wie sehr sich Ihr Kind bemüht hat, wird seine Anstrengungsbereitschaft sinken. Für ein gesundes Selbstwertgefühl müssen Kinder mehr Lob als Kritik erfahren. Das bedeutet für uns Erziehende: Wer einmal kritisiert, sollte danach vier Gelegenheiten zum Loben nutzen. Sie halten das für unmöglich? Kinder mit ADHS haben besondere Stärken. Sie sind hilfsbereit, spontan, humorvoll, nicht nachtragend und haben einen starken Gerechtigkeitssinn, um nur einige von vielen positiven Eigenschaften zu nennen. Achten Sie auf die guten Seiten Ihres Kindes und sagen Sie ihm, was es gut macht. Auf diese Weise helfen Sie ihm, seine Talente zu nutzen und seine Schwächen zu überwinden.

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